Fortschrittliches Projekt energetischer Nahversorgung: Stadtforst liefert Brennholz für Fernwärme der Stadtwerke

  • Veröffentlicht am: 10. Mai 2021 - 16:05

Auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft ziehen Stadtforst und Stadtwerke in Springe an einem Strang. In ihrem neuen Heizwerk für Fernwärme verbrennen die Stadtwerke Holzhackschnitzel aus dem Deister, die aus Rest- oder Schwachholz hergestellt werden, das vor allem der Stadtwald abwirft. Dadurch spart der lokale Energieversorger erhebliche Mengen an Erdgas ein, die wie Erdöl und Kohle zu den fossilen, den nicht erneuerbaren Rohstoffen zählen. Was Jahrmillionen erforderte, um es der Erdatmosphäre zu entziehen, und unter hohem Druck entstand, hat die Menschheit an fossilen Rohstoffen in einem Bruchteil der Zeit wieder in die Luft gepulvert. So kommt es zur klimaschädlichen CO2-Anreicherung. Klimaneutralität, die in Springe bis 2050 erreicht werden soll, bedeutet indes keine CO2-Anreicherung mehr, sondern ein Gleichgewicht zwischen CO2-Emissionen und der Aufnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre. Ein Wald beispielsweise ist so ein natürliches Reservoir, auch Kohlenstoffsenke genannt, das CO2 aufnimmt und speichert. 

stadtforst.mp4 | Ortsverband Springe (gruene-springe.de) 

»Holz ist kein fossiler Rohstoff«, betont Rudolf Rantzau, ministerialer Referatsleiter für Agrarumweltpolitik im Ruhestand. »Der Kohlenstoff im nachwachsenden Holz zirkuliert sozusagen zwischen Biosphäre und Atmosphäre. Im Baum ist er eine überschaubare Zeit gebunden. Verrottet Totholz oder werden Holzreste verbrannt, kehrt der Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre zurück.« Springes Stadtförster Bernd Gallas hat bei einem Waldrundgang mit Springes Grünen ebenfalls davor gewarnt, den Wert von Brennholz als Ersatz für fossile Energieträger zu unterschätzen. Forderungen mancher Naturschützer, alles wie in einem Urwald verfaulen zu lassen, hält Gallas als Extremposition mit Blick auf eine naturnahe und nachhaltige Waldbewirtschaftung für falsch. Mehr als zehn Prozent des Totholzes sollten nicht dem Zersetzungsprozess von Mikroben überlassen bleiben, sagt der Stadtförster mit jahrzehntelanger Erfahrung. Bei Totholz bilde sich im Vergleich zu Brennholz über den freigesetzten Kohlenstoff nicht weniger CO2, nur dauere es naturgemäß länger. 

Als Stadtförster hat Gallas nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen ein Auge darauf, dass alles, was an Holz höherwertig verwendbar ist, in Produkte mit langer Lebensdauer mündet. Je haltbarer die Erzeugnisse sind, zu denen Buche, Eiche und Co verarbeitet werden, desto länger bleibt das CO2 gebunden. So findet sich das hochwertigste Holz aus dem Wald in Furnieren, Parkett, Möbeln und Bauholz wieder. Lärchenholz beispielsweise haben die Stadtwerke für ihren neuen Betriebshof mit Heizwerk am Biermannskamp verbaut. Andere Hölzer werden für Spanplatten, Paletten oder wie bei Sappi in Alfeld für Verpackungen und bei der Papierherstellung benötigt. Dass Bücher langlebiger als die Zeitung von gestern sind, kommt ebenfalls der CO2-Bilanz zugute. Und selbst Kartonagen, die mittlerweile vermehrt als Verpackungsmaterial dienen, helfen nicht nur gegen Plastikmüll. Im Vergleich zu Aluminium, Weißblech und Kunststoff ist Pappe das Verpackungsmaterial mit den geringsten Umweltauswirkungen.  

In seinem Stadtwald hat Gallas oberhalb des Waldfriedhofes ein besonderes Problem. Dort befielen Borkenkäfer einen Fichtenbestand, der daher zur Hälfte eingeschlagen und geerntet werden musste. Was nicht mehr als Industrieholz zu verwenden war, soll dem neuen Heizwerk der Stadtwerke zugeführt werden. Tausend Tonnen, was etwa der Nutzlast von 50 Lastwagen entspricht, sind als erste Holzmenge im Herbst vergangenen Jahres für das nahegelegene Heizwerk geliefert worden. Das waren etwa 2500 Schüttraummeter Hackschnitzel. Ein solcher Schüttraummeter entspricht jener Menge an Holzschnitzeln, die lose geschüttet einen Kubikmeter Platz erfordert. Im Endausbau des Fernwärmebetriebs soll die Hackschnitzelmenge nach Angaben von Boris Schwitalski, Sanierungsmanager bei den Stadtwerken, jährlich etwa 5900 Schüttraummeter betragen. Mithilfe dieses Brennholzes liefern die Stadtwerke dann etwa 10 000 Mega-Wattstunden (MWh) Wärme. 

Zum Vergleich: Ein Einfamilienhaushalt verbraucht jährlich zwischen 15 bis 30 MWh für Heizung und Warmwasser, das sind umgerechnet 15 000 bis 30 000 Kilowattstunden (kWh). 

Da dies für alle Springer Wohnungen mit dem gesamten künftigen Angebot an erneuerbaren Energiequellen nicht abzudecken ist, müsse der Energiebedarf sich allerdings auf ein Viertel verringern, sagt der Sanierungsmanager. Das bedeutet im Klartext: Um drei Viertel kann der Energieverbrauch erst schrumpfen, wenn (fast) alle Wohngebäude einen hinreichend »warmen Mantel« erhalten haben. 

Eine Übernutzung des heimischen Waldes wegen des neuen Heizwerkes sei auch langfristig nicht zu befürchten, betont Schwitalski. Das Fernwärmeprojekt bewege sich im Ausmaß der natürlichen Kreisläufe und sei somit vollständig nachhaltig. Nach Untersuchungen der niedersächsischen Landesforsten liege das Potenzial von Waldrestholz, das für die Verbrennung genutzt werde, zwischen zwei und sechs Schüttraummeter pro Hektar und Jahr, je nach Wald und Bodenqualität. Bei Vollanschluss aller Anlieger der Springer Fernwärmetrasse ergibt sich laut Schwitalski für das Heizwerk ein Hackschnitzelbedarf, der von einer Waldfläche von etwa 1250 Hektar gespeist werden kann. Im Springer Stadtgebiet umfasst der Wald eine Fläche von mehr als 5000 Hektar, davon 740 im Stadtforst. Außerdem sei vorgesehen, dass Hackschnitzel auch aus Landschaftspflegeholz der Kommune und von Privatleuten kommen solle, sodass die Belastung der Waldflächen entsprechend geringer ausfallen dürfte. 

Gleichwohl räumen Gallas wie Schwitalski ein, dass die Mengen an Waldrestholz begrenzt sind. Bei einem unbegrenzten Energiehunger der Gebäude wäre selbst bei Holz als erneuerbarer Energiequelle ein nicht nachhaltiger Raubbau in den Wäldern durch unkontrollierten Einschlag zu befürchten. Doch zu einer nachhaltigen, naturnahen Forstwirtschaft gebe es weltweit zum Schutze des Klimas keine Alternative. 

Text und Bilder: Clemens Wlokas