Die Grünen in Springe nehmen Abschied von Manfred Fiedler

Springes graue Eminenz, das so unglaublich liebenswürdige Original mit dem ellenlangen Liegetandem, das fast einem Möbelwagen ähnelte oder einem Gepäckrolli auf zwei Rädern, gibt es nicht mehr. Manfred Fiedler, der stadtvertraute Mittsiebziger aus Völksen, starb unerwartet an Silvester.

Wenn bei Beratungen, die längst begonnen hatten, sich plötzlich doch noch einmal die Klinke senkte, stand mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit Manfred Fiedler hinter der Tür und ging mit bübischem Lächeln etwas wie eine Entschuldigung murmelnd auf einen freien Platz. Selbst wer ihm das auf Dauer nicht mehr nachsehen wollte, war schnell wieder besänftigt, wenn er sich kurz darauf behutsam und ganz unaufgeregt, aber mit Herz und Hand einbrachte. Ganz Manfred eben: bewandert, einfühlsam und hilfsbereit, ein heller, ein findiger, ein eigenwilliger Kopf. Nie war mir ein so unpünktlicher Mitmensch sympathischer als er!

So haben ihn mit seinem bürgerschaftlichen Engagement alle Mitstreitenden unterschiedlicher Couleur erlebt, mit denen er jahrelang am Tisch saß: ob im Ortsrat Völksen, in seiner dortigen Johanneskirchengemeinde und in der Bürgerwerkstatt, im Rat der Stadt Springe, in der noch jungen Springer ADFC-Ortsgruppe, im Stadtradeln-Vorbereitungsteam und im Redaktionsteam von HannoRad, der Fahrradzeitschrift des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) für die Region Hannover. Oder im inneren Vorstand des niedersächsischen VCD, dem Verkehrsclub Deutschland, der für eine ökologische und soziale Verkehrswende steht, im Springer Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen oder nicht zuletzt in der mit ihm in Gang gebrachten und geliebten Fahrradwerkstatt des Nachbarschaftsladens Doppelpunkt, einem Kooperationsprojekt der evangelischen Kirchengemeinden Springes. 

Seine Couleur war unverkennbar. Nicht nur aus seinen Argumenten ablesbar, nein, er verhielt sich entsprechend, handelte danach, was seine Ausstrahlung prägte. Ein Urgestein der Grünen, mit dem Planeten durch und durch im Reinen, als Radfahrer aus Passion die Verkörperung der Verkehrswende mit dem achtsamen Blick für die Faszination der Natur, als Praktiker ein Händchen für den schonenden Umgang mit Ressourcen, eine akkurate Mülltrennung und umweltbewusst bis ins alltägliche Einkaufen. Zum Klimawandel dürfte er kaum etwas beigetragen haben, obwohl er eigentlich immer unterwegs war, als reisender Radler mit dem halben Hausstand umherkam, wenn die Bahn ihn als sein Zugpferd irgendwo hingebracht hatte. So war Hannover sein Wohnzimmer. Nicht einmal die geläufige Malaise mit den Aufzügen vermochte das Tandem aufzuhalten. Weiß der Himmel, wie es ihm gelang, dieses wuchtige und sperrige Gefährt in die engen Fahrstühle der Deutschen Bahn zu bugsieren. 

The Fiedler on the Bike

Der Menschenfreund ist ihm auf den ersten Blick gar nicht anzusehen gewesen, wenn er als Einheit von Ross und Reiter auf seinem „Zirkusrad“ dahergeradelt kam. Dass er als eingefleischter Einzelgänger ein Tandem fuhr, harmonierte mit seiner zutiefst sozialen Persönlichkeit. Auf dem vorderen Liegesitz, auf dessen funktionslosen Pedalen nur die Füße ruhten, machte er im Sommer vielfach Behinderten die Freude, sie auf einen luftigen Ritt durch die Natur wie in einer Rikscha mitzunehmen. „Ein Mensch wird eben nur Mensch durch andere Menschen“, wie es der Friedensnobelpreisträger und frühere südafrikanische Bischof Desmond Tutu stets beschworen hat. 

Und dies war auch Manfreds Achillesferse, seine verwundbare Schwachstelle, trotz der gelebten Hilfsbereitschaft: einerseits die Vorliebe, zurückgezogen zu leben und andererseits sein Aufblühen in Gemeinschaft. Kein Wunder, dass es sogar mir als Zuschauendem weh getan und Mitgefühl ausgelöst hat, als Manfred im Vorfeld der Kommunalwahlen 2021 bei der Aufstellung der Wahllisten im Grünen-Ortsverband Springe durch alle Quoten und damit durchs Raster für einen aussichtsreichen Platz fiel. Händeringend hatte er noch versucht, das absehbare Unheil abzuwenden. Doch die Zeit ließ sich nicht anhalten, der Abschied aus der Kommunalpolitik fiel ihm schwer. Zumal andere Bindungen ihm abhandenkamen, eine Beziehung auf Distanz, ein Nachbar, den er gepflegt hatte, sein ihm so sehr ans Herz gewachsenes Pferd, dem er mit dem Gnadenbrot bis zum Ende die Treue hielt. Solche Einschnitte verwaisen einen.

Zum Glück blieb ihm neben den Radlerverbänden die Fahrradwerkstatt mit ihrer eingeschworenen Gemeinschaft und deren empfängliche Kundschaft. „Sie war sein zu Hause, er gehörte zu uns, wenn es ihn nicht gegeben hätte …“, sagen die, die dort an seiner Seite geschraubt und getüftelt haben, und lassen den Satz unvollendet. Ohne den gelernten Elektroingenieur wären sie kaum zurechtgekommen, bei all den Fragen zu Licht, Motoren, Displays, Akkus und Verkabelung bei mehr und mehr E-Bikes, die den Markt erobert haben. „Er wusste dazu alles und war immer für eine Überraschung gut.“

Noch am 19. Dezember werkelte er in der St.-Andreas-Straße. Tags darauf war er am Wahlstand der Grünen am Rande des Wochenmarktes wie selbstverständlich mit von der Partie. Dass es den Fiedler on the Bike nicht mehr gibt, ist für jeden, der ihn kannte und schätzte, ein Verlust, für uns am Deister schlicht nicht zu ersetzen.

Clemens Wlokas